5013046: HS „Die Arbeit am Mythos. Literarische Variationen zu Pygmalion, Elektra, Orpheus, Dionysos u.v.a.m.“
„Der Mythos ist weder eine Lüge noch ein Geständnis. Er ist eine Abwandlung.“ Roland Barthes beschreibt damit einen zentralen Punkt: in der Gestaltung antiker Mythen, deren Stoffe zum kulturellen Bildungsgemeingut geworden sind, geht es erklärtermaßen weniger um den immer schon bekannten Plot als vielmehr um seine Variation“ – ein Kernmythos wird durch neue Akzente, Motive, Sprachstile epochenspezifisch je neu umgearbeitet und damit gedeutet. Die im Klassizismus vielbeschworene Antikerezeption der „edlen Einfalt“ und „stillen Größe“ wird im Laufe des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss Nietzsches an ihre dionysisch rauschhaften Abgründe geführt, die individualpsychologisch auch ihren Platz zugewiesen bekommen, von Sigmund Freud. Die um 1900 meist blutrünstigen und rachsüchtigen Szenarien mythischer Stoffe spiegeln diese archaische Umwertung der Antike, die wiederum im 20. Jahrhundert einer ironisch distanzierten Nüchternheit zu weichen scheint.
Anhand kanonischer und weniger kanonischer Texte um 1800, um 1900 und des 20. Jahrhunderts sowie über Texte zur Mythostheorie möchte das Seminar den Fragen und Möglichkeiten der literarischen Arbeit am Mythos in der Moderne nachgehen.